Kernkrach, Kernkrach! Nach dem Erfolg des letzten Jahres wäre es ein Fehler gewesen, 2005 kein Festival stattfinden zu lassen. Die Besucherzahlen und Stimmung haben dies wieder einmal bestätigt. Obwohl die Erwartungshaltung für dieses Festival sehr hoch war, gab es keine Enttäuschungen. Ganz im Gegenteil! Vielleicht kann man anhand dieser Sätze schon herauslesen, dass dieses Festival wirklich überwältigend war.

Nun zu den Einzelheiten. Beginnen sollte das Festival um 18:00 Uhr. 19:00 Uhr fing es dann mit einem Intro, der Begrüßung und dem Überraschungsgast Sick Doll an. Die Sounds und die Performance kamen gut an, obwohl es ein wenig technische Probleme mit Brummschleifen gab, die durch defekte Kabel verursacht wurden. Diese waren aber wahrscheinlich beabsichtigt, da sich der Künstler alle Geräte vom Schrott besorgte und dies wohl auch zum Ausdruck bringen wollte. Visuell konnte man das auch durch einen überdimensionalgroßen PC-Lüfter bewundern.

Überraschenderweise durfte Sütterlin, der unter anderem auch für den Kernkrachsong verantwortlich ist, bereits als zweites spielen. Die grünen Overalls durften dem Publikum noch bekannt gewesen sein. Neu hingegen waren die Showeinlagen, die den Auftritt perfekt abrundeten. Ein Mexikaner, der sich ständig einer Bäckereitüte näherte und Luftgitarre spielte, ein Weihnachtsmann auf Krücken, obwohl dieses Jahr eigentlich Weihnachten ausfallen soll, und zwei „holländische“ Mädchen im Publikum, die Käsehäppchen verteilten.

„Feurig“ und ganz in weiß ging es nach einer Umbaupause weiter mit dem Brandstifter. Das minimalistische Equipment, das zum einen aus einem Bügelbrett und zum anderen aus Kinderspielzeug bestand, wurde von einer Art Pfleger bedient, der jedoch mehr wie der zugehörige Patient wirkte. Die total abgedrehte Show mit humoristischen Einlagen und genialem Sound führten zu grinsenden Gesichtern im Publikum. Das Mikrophon befand sich so dicht am Mund des Künstlers, dass es jede Lippenbewegung mitmachen musste. Auf Fotos sieht man das leider nicht. So etwas muss man eigentlich filmen! Leider brach zum Schluss des Auftritts ein wenig die Stimmung ein, da sich bei vielen schon sehr früh ein Sättigungsgefühl einstellte. Vielleicht waren auch einfach nur seine Blicke oder sein Verhalten zu Angst-Einflössend. Wer möchte auch schon gerne ein Festival mit einem anschließenden Besuch beim Psychiater bezahlen. Für mich war dieser Auftritt auf jeden Fall einer der Höhepunkte des Festivals.

Das sich mit „dt“ schreibende Projekt Sonnenbrandt, konnte neben Sütterlin bereits letztes Jahr auf dem [Kernkrach-Festival 2004] begeistern. Viele neue Songs und gute Laune hatten sie diesmal wieder im Gepäck. Diese wurden dankbar und tanzend aufgenommen. Würde man alle Auftritte des Abends mit einem Stimmungsbarometer bewerten, dann wäre die Säule bei dieser Darbietung sicherlich am höchstens gekommen. Sie können sich ohne weiteres mit erfolgreichen Bands, wie zum Beispiel „Wir Sind Helden“, messen. Aus diesem Grund sollte man sie auch der breiten Masse näher bringen. Sie brauchen sich nicht weiter zu „verstecken“. Ihr nächstes Album wird übrigens im Februar 2006 erscheinen. Dennoch gab es auch vereinzelt Stimmen zu hören, die mit dieser Fröhlichkeit und dem sehr „angepassten“ Sound weniger anfangen konnten. Für die gab es dann genau das Gegenteil beim darauf folgenden Auftritt.

Closedunruh verkörperten alles andere als gute Laune, eher Depressionen und Endzeitstimmung. Nach Sonnenbrandt für viele ein Schlag in die Fresse. Für mich ein erfolgreicher Übergang, der die vorherige „Traumwelt“ wie eine große Seifenblase zerplatzen ließ. Viele Gäste straften die Künstler mit ihrem Rückzug. Ein großer Fehler! Denn solch intensiven Texte und Atmosphäre sollte man eigentlich aus nächster Nähe aufnehmen. Interessant waren auch die positiv gemeinten Vergleiche, die mir zu Ohren kamen: „Der personifizierte Hass“ oder auch „Der Sänger erinnert mich an Laibach“. Mir fehlten ein wenig die emotionalen Ausbrüche des Sängers. Das hätte das Bild ein wenig abgerundet. Er strahlte immer wieder aus, dass er kurz davor war. Doch leider blieben sie weitestgehend aus. Stattdessen wurde der triste Alltag auf der Bühne gelebt. Die Frau unter der Trockenhaube sollte wahrscheinlich auch genau das verkörpern.

Relativ spät durften dann die heiß ersehnten Human Puppets aus Griechenland loslegen. Leider am Anfang etwas begleitet von technischen Problemen, die wahrscheinlich noch nicht einmal jemand bemerkt hätte, wenn sie nicht ständig selbst drauf rum geritten wären. So dauert es ein wenig, bis sich die gewünschte Stimmung im Publikum einstellte. Außerdem war es auch schon relativ spät. Und nach über 7 Stunden stehen, konnte man den Auftritt nicht mehr so würdigen, wie es eigentlich für so ein Projekt angemessen ist. Als es dann endlich richtig losging, wurde man schlagartig in die Anfänge der achtziger Jahre katapultiert. Die Kombination aus Sound, Performance und Hintergrundvideo war wirklich überzeugend. Ein Projekt, das man auf jeden Fall im Auge behalten soll. Zugaben durften leider nicht mehr gegeben werden, da sich „völlig überraschend“ irgendwelche Anwohner über die Lautstärke beschwerten.

Die groß angekündigte „After-Show“-Party musste aus diesem Grund ebenfalls entfallen. Um 02:30 und nach über 8 Stunden Festival sicherlich nicht ganz so tragisch. Prinzipiell allerdings schon, da offensichtlich besoffene Schützenfestproleten höher im Kurs stehen als anspruchsvolle Musik und Gäste, die dafür sogar über 8500 km zurücklegen.