Bis zum September 2007 bin ich immer davon ausgegangen, dass Städte, bei denen
sich auf den Kfz-Nummernschildern drei Buchstaben zur Identifizierung befinden,
entsprechend klein sind. Halle hingegen wirkte alles andere als klein. Die
Verkehrsführung war teilweise die reinste Herausforderung und wahrscheinlich nur
noch durch Paris zu überbieten. Sehr viele Einbahnstraßen und enge Gassen, dann
wiederum riesige "Kreisverkehre", bei denen man im Berufsverkehr rechtszeitig in
der richtigen Spur stehen sollte, um nicht durch Unachtsamkeit plötzlich ganz
woanders zu landen. Normalerweise erleichtert ein Navigationsgerät das Auffinden
von Zielorten. Pech hat man allerdings, wenn bestimmte Adressen unanwählbar
sind, oder die Software nicht mehr auf dem aktuellsten Stand ist und plötzlich
viele Einbahnstraßen nur noch aus der anderen Richtung befahren werden dürfen.
Aber Schluss mit dem Rumjammern, sonst entsteht noch der Eindruck, dass sich die
Reise nicht gelohnt hat. Das Gegenteil war nämlich der Fall!
Der Veranstaltungsort, Tanzbar Palette, befindet sich direkt in der
Altstadt, umgeben von mehreren Kneipen und Restaurants. Optimal, wenn man vorher
noch etwas essen möchte. Und das kann man im Osten wirklich sehr gut und
unheimlich günstig.
Den
Einlass für die 1. Wehrkraftzersetzung gab es 19:00 Uhr und der
Startzeitpunkt für den ersten Auftritt war für 20:00 Uhr angesetzt. Los ging es
allerdings erst nach 21:00 Uhr mit dem Berliner Projekt Mezire.
Wie immer sehr ausgeglichen, betraten Frank und Dirk die Bühne und präsentierten
viele Stücke ihres neuen Albums Corrosion Effects. Natürlich flossen in
ihr Programm weiterhin Klassiker wie Reanimate und Suffer
hinein. Obwohl sie sich mit ihrem neuen Album ganz den Power Electronics-Klängen
verschrieben haben, fügten sich die älteren, rhythmischen Klänge nahtlos ein.
Die Performance wurde durch sehr viel grinsen und gute Laune beherrscht, so dass
ein paar zornige und böse Besucher sicherlich enttäuscht waren. Wahrscheinlich
haben diese Personen grundsätzlich ein Problem mit Sympathieträgern. Trotzdem
gab es anschließend ausreichend und verdienten Beifall.
Das
eigentlich nur aus Höhepunkten bestehende Festival wurde mit Green Army
Fraction fortgeführt. Da ich stolzer Besitzer zweier Alben und mehrerer
Samplerbeiträge des Ein-Mann-Projektes bin, war die Erwartungshaltung für den
Auftritt entsprechend hoch. Leider kam sein Sound nicht druckvoll genug rüber,
obwohl die Lautstärke stimmte. Auch für seine Performance konnte ich mich leider
nicht begeistern. Irgendetwas fehlte, ich weiß nur nicht was genau. Die
technischen Probleme mit dem Mikrophon werteten den Auftritt auch nicht gerade
auf. Danach wirkte alles nur noch improvisiert. Der Künstler selbst war mit
seinem Auftritt sehr zufrieden, ich behaupte allerdings, dass noch wesentlich
mehr in ihm steckt. Das zeigen allein schon seine Werke auf verschiedenen
Tonträgern, die wirklich sehr zu empfehlen sind!
Als
drittes durften Kommando auf die Bühne. Ein Projekt, das mit Ex-Thorofon
beworben wurde. Es blieb im Vorfeld nur zu hoffen, dass es zumindest ähnlich wie
Thorofon klingt, wenn man schon in Zukunft auf den "Namenszusatz" verzichten
muss. Umwickelt mit alten Schmalfilmen lieferten die beiden Künstler den meiner
Meinung nach besten Auftritt des Abends ab, was unter anderem an meiner
niedrigen Erwartungshaltung gelegen haben kann. Sehr minimalistische Klänge
kombiniert mit intensiven, verzerrten und parolenartigen Gesangseinlagen, die
durch passende Bewegungsabläufe noch verstärkt wurden. Der zugehörige Tonträger
wird übrigens beim Label L.White erscheinen und sorgt jetzt schon bei mir
für eine entsprechende Vorfreude.
Ein
Garant für heftige Power Electronics-Klänge und eine entsprechend
ausgereifte Performance ist das Projekt Sektion B, was für mich
sicherlich der Hauptgrund für einen Kurztrip nach Sachsen-Anhalt war. Trotz
hoher Vorschusslorbeeren und Erwartungen konnten sie mich wie immer stark
begeistern und für kleine Überraschungen sorgen. Zum einen haben sie Material
von ihrer Free Speech-Serie verarbeitet und mit neuem Videomaterial
versehen und zum anderen brachten sie das Publikum in den vorderen Reihen so in
Rage, dass diese Personen kaum noch zu bremsen waren. Abgesehen von den
intensiven Körperschlägen, bei denen der Green Army Fraction-Künstler
intensiv mitmischte, rissen die Gäste die amerikanischen Flaggen von der Bühne
und zündeten sie an - zumindest versuchten sie es. Wahrscheinlich kommen
für die Flaggen-Produktion inzwischen schwerentflammbare Kunststoffe zum
Einsatz, die eben genau solche Darbietungen verhindern sollen. Dennoch ließen
sich die Gäste nicht von ihrer Vernichtung abbringen und mussten im Nachhinein
mit verschmortem Kunststoff auf der Haut kämpfen. Der letzte Song war wie so oft
Born To Be Wild, nur diesmal in einer wohl etwas längeren Fassung, in der
sich das Mikrophon schon mal ins Publikum verirrte.
Als Headliner durften danach Ex.Order den Saal mit ihren im
Vergleich zu Sektion B dezenten Klängen beschallen. Es wurden
sowohl rein instrumentale und Stücke mit Gesangseinlage dargeboten. In
Kombination mit ihren Hintergrundvideos wirkte der Auftritt sehr anspruchsvoll,
aber meiner Meinung nach viel zu sanft für einen Headliner bei so einem
Festival. Vielleicht liegt es auch an den Einflüssen ihres inzwischen wesentlich
bekannteren Dark-Ambient-Projektes Inade. Keine Ahnung, so genau
kenne/kannte ich Ex.Order nicht. Sie werden halt nur in einem
Atemzug mit Genocide Organ genannt und da erwartet man schon ein wenig
mehr.
Anschließend gab es noch zwei Aftershowpartys. Im Saal hauptsächlich ruhige und
experimentelle Klänge und im relativ kleinen Nebenraum Aggrepo bzw.
Old-School-EBM (kein Wunder, wenn die Electric Tremor-Leute
mitmischen). Ich hoffe doch sehr, dass es eine Fortsetzung der
Wehrkraftzersetzung geben wird und die Eins nicht nur einfach so an den Titel
gehängt wurde. Bei der hohen Anzahl an Besuchern und der entsprechenden
Begeisterung eigentlich ein Muss!