Galerie/Berichte
Elektroanschlag Nr. 12

Fr.: Syntech, Transistor, Ex_Tension, Cent Ans De Solitude, Republik Of Screens, Nullgrad, Gjöll, Bad Sector, Tzolk'in
Sa.: Saturmzlide, Mezire, nÄo, Feine Trinkers Bei Pinkels Daheim, Le Moderniste, IC 434, Ahnst Anders, Igorrr, Dive, (Heimstatt Yipotash)

Freitag/Samstag, 01/02.04.2011 Brauerei (Tenne), Altenburg

 

 

Sorry, we are french…

Dieses Zitat muss ich einfach für die Einleitung meines Berichtes über den Elektroanschlag Nr. 12 in Altenburg anführen, da dies eine bemerkenswerte und mit erwarteten technischen Problemen behaftete Darbietung eines französischen Musiker-Trios untermalte. Dazu aber später mehr. Der Elektronanschlag stellt für mich jedes Jahr grundsätzlich einen Pflichttermin dar, was sicherlich nicht nur der sehr guten Bandauswahl zu verdanken ist. Das Hauptaugenmerk liegt hier in der besonderen und unbeschreiblichen Atmosphäre, deren Ursprung ganz klar im Bereich der perfekten Organisation zu finden ist. Es gehört zwar schon zum Standard, dies in meinen Berichten zum jeweiligen Elektroanschlag extra zu erwähnen, weglassen möchte ich diese Info und potentielle Werbung für die nächsten Jahre allerdings auch nicht. Zum einen ist es nicht selbstverständlich und zum anderen kann das Weglassen von Informationen auch als Information interpretiert werden.

Der inzwischen dritte Elektroanschlag in der Altenburger Brauerei/Tenne lockte wie immer Besucher aus ganz Europa, wo hingegen die wenigsten Gäste aus Altenburg selbst kamen. Für mich bedeutete die Reise nach Altenburg ca. 500 km Autobahn und Landstraße. Für den Rückweg fiel der gleiche Weg noch einmal an, wer hätte das gedacht. Nach relativ später Abfahrt und gemütlicher Hinreise am Freitag musste ich wieder einmal die ersten beiden Auftritte verpassen. Den dritten konnte ich zwar noch musikalisch komplett aus der Ferne vernehmen, der Gang vor die Bühne fiel jedoch der wichtigen Begrüßungszeremonie zum Opfer. So kann ich weder über die Live-Performance von Syntech, Transistor und Ex_Tension etwas zum Besten geben, noch meine typischen Bilder dieser drei Auftritte zur Verfügung stellen.

Dafür schenkte ich meine volle Aufmerksamkeit dem vierten Projekt mit dem Namen Cent Ans De Solitude, hinter dem sich der Künstler Jean-Yves Millet verbirgt. Vielen vielleicht bekannt durch sein Label Les Nouvelles Propagandes auf dem Material von namhaften Künstlern und Bands wie beispielsweise Minamata, La Nomenklatur, Tiburce, Test Dept. und "natürlich" von Cent Ans De Solitude selbst erschienen ist. Den Auftritt von Cent Ans De Solitude kann man wie folgt zusammenfassen: Es fehlte an nichts! Performance, Tiefgang, Sound und Videountermalung, alles harmonierte perfekt. Akustisch im experimentellen Ambient Sektor zu platzieren und konzeptionell dem Industrial-Bereich hinzuzuzählen, lieferte sein Auftritt, bedingt durch die begleitende Videoprojektion, eine nicht gerade oberflächliche Auseinandersetzung mit verschiedenen Bürgerkriegen der Vergangenheit. Seine Klangerzeugung kann man getrost als analog, wenn nicht sogar als rein mechanisch klassifizieren. Es wurden Ketten über einen Tisch gezogen, Unterlegscheiben rotierend über meterlange Gewindestangen per Erdanziehung in Bodennähe befördert, Heizkörper zweckentfremdet usw. All dies erzeugte ein Klangbild, wie es selten aus aufklappbaren Businessgeräten kommt. Ein wenig verwirrt bin ich durch die Tatsache, dass seine einzige Veröffentlichung ein aus dem Jahre 1987 erschienenes Tape ist. Wer nicht im Genuss dieses Werkes ist, darf sich aber zumindest über das sehr schöne Stück Des Visage Set Des Ruines von Cent Ans De Solitude auf dem aktuellen Elektroanschlag-Sampler freuen.

Ein wenig Dark Electro, den man im Vergleich zum vorherigen Künstler schon als eingängige Popmusik bezeichnen könnte, gab es von Republik Of Screens. Die beiden Protagonisten zogen es im Gegensatz zum bereits erwähnten Musikstil vor, sehr hell aufzutreten. Vielleicht ein wenig inspiriert durch Michael Jackson, wurden die entkleideten Oberkörper mit einem weißen Film überzogen. Evtl. handelte es sich hierbei auch einfach nur um Babypuder oder Mehl. Spielt für den Kauf einer CD jedoch eine untergeordnete Rolle, wenn es denn eine geben würde. Momentan müssen sich potentielle Käufer noch mit dem Elektroanschlag-Sampler begnügen.

Rhythmisch und zum Tanz auffordernd zeigten sich Matthias Erhard und Sandro Salaris, zusammen besser bekannt als Nullgrad. Beide Musiker bewiesen wieder einmal ihre Vielseitigkeit mit ihrer Formation Nullgrad, kennt man sie doch sonst nur von anderen Projekten, zu dessen Output komplett andere Klänge zählen. Die erwartungsvolle Tanzfraktion nahm ihren Auftritt äußerst dankbar auf und feierte ihn entsprechend.

Das isländische Projekt Gjöll, bestehend aus den Musikern Jóhann Eiríksson und Sigurður Harðarson, lies sich zu Anfang musikalisch schwer fassen. Ehrlich gesagt änderte sich das auch nicht während ihrer gesamten Darbietung. Man neigt gerne dazu, irgendwelche Schubladen aufzuziehen oder Vergleiche aufzustellen, um Dinge leichter verarbeiten zu können. Das gelingt mir bei Gjöll nicht. Ein ganz großes Plus hier also für ihre verstörend ruhige, dezent aggressive und temporär impulsive Performance, gepaart mit den zugehörigen Klängen. Begrüßenswert war ebenfalls ihre Coverversion des TG-Klassikers Discipline. Dieser soll evtl. nach Aussage des charismatischen Sängers Sigurður Harðarson auf ihrem vierten Tonträger erscheinen.

Dass man von Bad Sector viel erwarten kann, dürfte allgemein bekannt sein. So verwunderte mich die handwerklich gebotene Perfektion auch keineswegs. Was mir hingegen fehlte, war die Ambientatmosphäre, die ich mir im Vorfeld ausmalte. Massimo Magrini, der sich hinter Bad Sector verbirgt, ist seit 1992 unter diesem Synonym aktiv. Da darf es natürlich nicht verwundern, wenn über die Jahre eine Entwicklung stattfindet, die viele Facetten der elektronischen Musik aufzeigt. Mir persönlich hätte an dem Abend hingegen ein Set im Stil von Ampos ganz gut gefallen.

Es gibt Begriffe wie Ethno-Pop, New Age, Ritual, IDM. Wenn man alles ein wenig miteinander vermischt, ergibt sich der Sound von Tzolk'in. Eher ruhigere aber dennoch tanzbare Klänge, mit gesampelten Instrumenten aus fremden Kulturkreisen, sorgten am späten Freitagabend für den Bühnenausklang, bevor die Anlage den DJs übergeben wurde. Ähnlichkeiten zum Projekt This Morn' Omina waren nicht nur durch das Bühnenbild bzw. die Präsenz von Nicolas Van Meirhaeghe (neben Gwenn Trémorin) gegeben, auch die Musik ließ ein wenig darauf schließen.

Anreise, mehrere Auftritte und ausgedehntes Stehen, gepaart mit permanenter Müdigkeit, nötigten mich noch vor Beendigung der letzten Darbietung das Hotelzimmer aufzusuchen. Aufgrund dieser Tatsache ist es mir nicht möglich, auf die anschließenden DJ-Aktivitäten einzugehen. Ich habe es ebenfalls verpasst, andere Gäste des Elektroanschlags beim Frühstück im Hotel auf das Ereignis anzusprechen.

Wie eigentlich jedes Jahr hatten wir Altenburg-Gäste mal wieder riesiges Glück mit dem Wetter. Da ist es natürlich ratsam, den Samstagnachmittag mit einem Stadtbummel zu verbringen, anstatt das nicht gerade aufregende Fernsehprogramm im Hotelzimmer zu verfolgen. Auf dem Weg zum anvisierten Senfladen kam unserer Touristengruppe, die nicht gerade wie brav gekleidete Angestellte wirkte, eine freundlich grüßende Person entgegen, die mir irgendwie bekannt vorkam. Nach ein wenig Überlegung konnte ich ausschließen, dass es sich hierbei, obwohl schwarz gekleidet, ebenfalls um einen Besucher des Elektroanschlags handelte. Es war vielmehr Prinz Mario Max zu Schaumburg Lippe, über den in der Medienlandschaft gerne mit einem zwinkernden Auge berichtet wird.

Nun aber wieder zum Schwerpunkt dieses Berichtes, die Rezension der verschiedenen Auftritte des Elektroanschlags. Wir befinden uns inzwischen am zweiten Festivaltag und dieser wurde gleich mit einem sehr tanzbaren Projekt begonnen. Alexander Marco, besser bekannt als Saturmzlide, brauchte mit seinen rhythmischen Klängen nicht lange, um die Gäste zum Tanzen zu bewegen. Während meiner knipsenden Tätigkeit musste ich mir immer vorstellen, wie die Performance wohl zu zweit und in Feuerwehrmontur aussehen würde. Insider wissen sicherlich sofort, was diese Anspielung soll.

Ein Hauptgrund für den diesjährigen Altenburg-Trip waren für mich unter anderem Mezire, die sich über die Jahre von einer Dark Electro/EBM-Formation zu einer Power Electronics-Combo entwickelt haben. Normalerweise beobachtet man solche Veränderungen eher in die andere Richtung, da sich hiermit tendenziell eher größere Fangemeinden erschließen lassen. Hier also ein Hoch auf die Kunst. Obwohl Power Electronics-Klänge eher ein Synonym für pure Aggression darstellen, schaffen es Frank und Dirk trotz unbequemer Themen und stark verzerrtem Gesang ihrem Auftritt eine gewisse Kuschelnote zu verpassen. So wunderte es mich auch nicht, dass ein Gast ein Stofftier auf die Bühne schmiss. Titel wie The Last War, die aufgrund der aktuellen Ereignisse in Japan ein wenig angepasst wurden, zeigten wiederum die Ernsthaftigkeit in ihren Texten, die sich trotz fröhlicher Mimik des Duos nicht ausblenden ließ.

Für meinen Teil kam ich mit Mezire und allen vorherigen Darbietungen schon voll auf meine Kosten und dann kam die absolute Überraschung. Ein mir völlig unbekanntes Projekt mit dem Namen nÄo. Ein Trio aus Frankreich, das bedingt durch die Probleme bei den Vorbereitungen eher auf einen chaotischen Auftritt als an eine nachhaltig beeindruckende Aufführung schließen ließ. Da wollte beispielsweise das Mischpult nicht so, wie der Musiker und rohe Gewalt kam zum Einsatz. Natürlich mit anschließender Entschuldigung: Sorry, we are french! Das hatte schon einen gewissen Unterhaltungswert, obwohl das Konzert noch gar nicht begann. Nach offensichtlichem Beheben der technischen Komplikationen startete das nÄo-Trio mit einem für den Elektroanschlag eher untypischen Sound - Krautrock bzw. psychodelischer Rock mit analogem Schlagzeug und Stromgitarre. Man öffnete bei den Besuchern eine Tür, die über Jahre geschlossen war. Wie ein Befreiungsschlag äußerte sich dies beim Entladen der Emotionen im Publikum durch ungebremste Begeisterung. Die Performance von nÄo rundete ihren perfekten Sound noch mit Sympathie und witzigen, wenn auch nicht geplanten Einlagen, ab. So flog beispielsweise nach intensiver Schlagzeugnutzung das Hi-Hat auseinander. Der obere Teil des Beckens machte sich einfach selbstständig und landete irgendwo. Natürlich entschuldigte sich man wieder: Sorry, we are french! Glücklicherweise kam ich nach der Hälfte des Auftrittes auf die glorreiche Idee mir eine von den begehrten nÄo CDs zuzulegen, die nach dem bemerkenswerten Auftritt verständlicherweise sofort vergriffen waren. Wer noch nicht in den Genuss des Picture This If You Will Tonträgers kam, kann sich zumindest an dem traumhaften Stück Uusi (LB Version) auf dem Elektroanschlag-Sampler erfreuen.

Für Feine Trinkers Bei Pinkels Daheim war es jetzt nicht leicht mit experimenteller Klangkunst hier reibungslos anzuschließen. Da sich für Qualität aber immer eine entsprechende Zielgruppe findet, musste er nicht lange auf eine Resonanz vom Publikum verzichten. Ich durfte ihn schon einmal vor 4 Jahren live in Münster im Rahmen der Geräuschwelten-Reihe zusammen mit Giancarlo Toniutti und Fire/In/The/Head erleben. Auch dort wusste er schon zu überzeugen.

Das nachfolgende Projekt Le Moderniste zog das Klanggeschehen wieder in Richtung Rhythmus und Tanz. Ich nutzte seinen Auftritt, um mich ein wenig anderen Dingen, wie beispielsweise dem Essen und Einkaufen zu widmen.

Mit IC 434 ging anschließend die erste Dark Electro-Band an den Start. Hier gab es die typischen und qualitativ hochwertigen Soundmuster zu vernehmen, wie man sie bereits aus den 90ern kennt. Eine sehr schöne Abwechslung, die zur Vielseitigkeit des wieder einmal gelungenen Festivals beitrug.

Zu Ahnst Anders kann ich im Nachhinein keinerlei Urteil mehr abgeben, da dieser Auftritt, aus was für Gründen auch immer, aus meinem Gedächtnis verschwunden ist. Zumindest kann ich ein Bild liefern.

Bei Igorrr hingegen ist genau das Gegenteil der Fall. Der Auftritt hat sich total in mein Gedächtnis eingebrannt, was hier allerdings eher im negativen Kontext zu sehen ist. Seine Kunst hat wirklich extrem polarisiert. Mir ging es total auf die Nerven, wo hingegen die anderen Gäste Igorrr total abfeierten. Interessanterweise finde ich das Stück auf dem EA-Sampler nach mehrmaligem Hören recht lustig und gut.

Den offiziellen Höhepunkt des Abends bildete Dirk Ivens mit seinem Projektkürzel Dive. Hier waren die Erwartungen sehr hoch. Dirk schafft es dann noch, diese weit zu übertreffen. Wie gewohnt gab es seine bekannten und inzwischen schon zu Klassikern avancierten Stücke im druckvollen Soundgewand. Mit Peter Mastbooms hinter den Reglern wundert mich dieses ausgereifte Klangergebnis auch nicht im Geringsten. Die Performance von Dirk war wie immer Minimalismus pur, kombiniert mit intensivem Körpereinsatz. Die gesamte Bühne stand ihm wie immer ohne störende Elemente zur Verfügung. Vielleicht abgesehen von einem in gewohnter Manier einbezogenen Mikrophonständer und Kabel, die seinen Bewegungsradius einschränken konnten, brachte er mich beim Fotografieren durch seine schnellen Bewegungen ganz schön ins Schwitzen.

Das endgültige Ende aller Auftritte stellte aber nicht Dirk Ivens mit Dive dar, sondern es gab noch einen anschließenden Sondergig von Heimstatt Yipotash. Das noch energiegeladene Publikum hat diese „inoffizielle“ Tatsache sehr wohlwollend aufgenommen. Die anschließenden DJ-Aktionen habe ich mir aufgrund der fortgeschrittenen Zeit wie schon beim vorherigen Abend erspart.

Ich kann nur hoffen, dass die folgenden Jahre mit dem Elektroanschlag weiterhin so erfolgreich verlaufen, und dass weitere Gäste das großzügige Platzangebot in der Brauerei/Tenne nutzen werden. In diesem Zusammenhang noch einmal ein großes Lob an den Veranstalter, die Gäste und natürlich an alle Künstler. Ich schließe den Bericht mit Vorfreude auf das Jahr 2012 und den Elektroanschlag Nr. 13.

20070404

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Cent Ans De Solitude

Cent Ans De Solitude

Cent Ans De Solitude

Cent Ans De Solitude

Cent Ans De Solitude

Republik Of Screens

Nullgrad

Nullgrad

Nullgrad

Gjöll

Gjöll

Gjöll

Bad Sector

Bad Sector

Bad Sector

Tzolk'in

Tzolk'in

Tzolk'in

Saturmzlide

Saturmzlide

Saturmzlide

Mezire

Mezire

Mezire

Mezire

nÄo

nÄo

nÄo

nÄo

Feine Trinkers Bei Pinkels Daheim

Feine Trinkers Bei Pinkels Daheim

Feine Trinkers Bei Pinkels Daheim

Le Moderniste

IC 434

IC 434

IC 434

Ahnst Anders

Igorrr

Dive

Dive

Dive - ein Blick ins Publikum

Dive

Heimstatt Yipotash

Heimstatt Yipotash

Spaß

 

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